19.05.07 bis 23.06.07
Isabelle Krieg - Schicht
Isabelle Krieg geht in vielen ihrer Arbeiten Spuren nach, oder legt selber welche; Orangenschalen entpuppen sich als Weltkarte oder Kaffeereste als Gesichter berühmter Menschen. Isabelle Krieg arbeitet oft mit Schichtungen, wie z.B. bei den Shelters, Zelten aus Papierschnipseln oder Wärme-/Rettungsfolien.
Den Ausstellungsauftakt bildet die vierteilige Fotoarbeit «Hotel Angst, 2006», Fotos einer Hotelruine in Ligurien. Die Fotoarbeit nimmt Bezug auf die Ausstellung «KRIEG MACHT LIEBE» im CentrePasquArt (1.4-20.5.07) in Biel.
Die 2003 begonnen Arbeit «Unerledigt, 2003-2007» besteht aus gebrauchten Kaffeetassen, aufgetürmt in unterschiedlichen Plastikbecken, bereit für den Abwasch. Bei näherem Betrachten entpuppen sich die Schmutzreste in den Tassen als Zeichnungen, die offensichtlich nach Zeitungsbildern angefertigt wurden. Die Arbeit entstand als die Presse voll von Berichten über den Irak-Krieg waren und liefert so ein ungewöhnliches Zeitdokument. Stärker als um den spezifischen Anlass geht es der Künstlerin in der kontinuierlich weiter entwickelten Arbeit aber um die tägliche Zeitungslektüre, bei der, unabhängig ob Kriegsgräuel oder High-Society-News immer ein etwas (in der Tasse) „hängen bleibt“. Die Bilder selbst, aus Kaffee- und Kakao-Resten gefertigt, erinnern an die Tradition des aus Kaffeesud-Lesens, bilden eine Analogie zur „Schmutzwäsche“, die alltäglich in den Medien gewaschen wird, und verdeutlichen den Abfallcharakter der abgelagerten Bilder.
Im Werk «Yesterdays Parties, 2007» welches einen Ausstellungsschwerpunkt bildet, und den Galerieraum in verschiedene Sektoren aufteilt, betreibt die Künstlerin Stadtarchäologie. Dazu holt sie eine mehrteilige Holzbretterwand, welche während der wohl letzten zwanzig Jahre im öffentlichen Raum in Zürich stand, in den Galerieraum. Die Wand ist übersät mit Plakatfetzen, Tackern und Flyerstücken, die von tausenden Parties und Konzerten zeugen. Unzählige Schichten von vergangener angekündigter Zukunft kleben übereinander und bilden ein Archiv der öffentlichen Anlässe. Allerdings ein nur mehr zu erahnendes, denn das Puzzle kann nie vervollständigt werden.
Die Bretterwand ist für die Künstlerin auch ein Träger der Melancholie vergehender Jahre und vergangener Jugend. Sie steht für alle erlebten und versäumten Parties, für ergriffene und verpasste Gelegenheiten, erfüllte und unerfüllte Liebe, Erfolge und Enttäuschungen, für Lachen und Tränen. Die Wand allerdings wird nie mehr die Zukunft ankündigen. An ihrem alten Ort steht jetzt eine neue Wand, bereit für die kommenden Jahrzehnte Popkultur. Sie ist im weiteren Sinne auch eine Arbeit im öffentlichen Raum.
In der Speziell für die Ausstellung in Chur entwickelten Arbeit «Heimchen, 2007» baute die Künstlerin aus Plastik-Tischsets gefertigte, von innen beleuchtete, Häuser auf. «Tischsets aus Plastik faszinieren mich aufgrund ihrer Hässlichkeit und als Gebrauchsobjekt verabscheue ich sie zutiefst. Gleichwohl verbinde ich damit Erinnerungen an meine Kindheit. Die darauf gedruckten Motive und die Tatsache, dass man solche Tischsets benutzt, zeugen für mich vom Versuch, das Heim zu einem Wohlfühlort zu machen. Ob das gelingt oder nicht, sei dahingestellt und ist Geschmackssache. Abgesehen von der visuellen Komponente sind Tischsets für mich höchst aufgeladene Objekte.»
Die ebenfalls neu für die Churer Ausstellung entstandene Arbeit «Schneefall, 2007 (Zitat J.B.)», (Tannenstämme, Rettungsdecken) versteht die Künstlerin als Zitat auf das 1965 entstandene Werk: Schneefall (32 Filzdecken über drei Tannenstämmen) von Joseph Beuys (1921–1986). Die Herausragende und bestens bekannte, von der Emanuel Hoffmann-Stiftung 1970 erworbene Plastik befindet sich in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel. Die dazu verwendeten Materialien setzte die Künstlerin bereits in den vorangegangenen Werken «Sophisticated shelter, 2006» und «Intensive shelter, 2006» ein. Auch hier agiert Isabelle Krieg wiederum unvoreingenommen und hat keine Angst davor, besetzte Kunstwerke, an diesem Beispiel als Zitat, aufzunehmen und in ihrem Sinn umzuwerten.
Was im Laufe eines Jahres von kulturellen Ereignissen kündete - Einladungskarten und Informationsblättern zu Events und Ausstellungen - sammelte und stapelte Isabelle Krieg, im Galeriekabinett, zum Werk «Art shelter, 2006/07». Sortiert nach Farben schichtete sie die Karten über ein Gerüst aus Rundhölzern. Normalerweise, für das Überleben in der Wildnis, aus Ästen und Laub gefertigt. Gefestigt wird die Hütte, die so gross ist, dass sie ihrem, oder auch einem fremden, Körper Schutz bietet, durch schwere Holzstücke. Mit der Neuanordnung dieses kulturellen Altpapiers konfrontiert die Künstlerin ihre Naturverbundenheit mit der Schnelllebigkeit – auch des Kunstbetriebes -und der Vergänglichkeit unserer Zeit. Dabei lotet sie sich selber und ihr Verhältnis zur Kunst aus, die ihr einerseits das Überleben ermöglicht, sie also schützt, und die sie anderseits als Wildnis empfindet, in der es sich alleine durchzukämpfen gilt.